Präzisionsunternehmen blickt auf 125-jährige Firmenchronik zurück
Badische Zeitung vom 30. November 2021
Ein dickes Kapitel in der industriellen Geschichte hat das Präzisionsunternehmen Mesa Parts geschrieben. Anlässlich des Firmenjubiläums gab es eine Zeitreise zum Beginn der Industrialisierung.
Die Gründerzeit, die sich im Land zwischen 1830 und 1870 vollzog, brachte auch für Lenzkirch gesellschaftliche und soziale Veränderungen mit sich. Für die industrielle Entwicklung boten sich hier gute Perspektiven. Es gab genügend Flächen und in den kleineren und größeren Bächen floss ganzjährig genügend Wasser, um Wasserräder anzutreiben, die Strom erzeugten oder Mühlen oder Sägen antrieben.
Angefangen hat wohl alles mit dem Erzabbau, über den aber nicht viel bekannt ist. Eisenerz schürfte man vor mehr als 300 Jahren in Unterlenzkirch im Stiegwald, hoch über dem Geschind. Alle Urkunden darüber sind 1813 beim großen Lenzkircher Brand vernichtet worden. Als die Nazis Ende der 1930er-Jahre im Land nach Rohstoffen suchten, wiesen die Gesteinsproben aus einem Probestollen, nur einen Erzgehalt von maximal 17 Prozent auf – also nicht abbauwürdig.
Glasträger sind das erste europäische Vertriebsnetz
Zu den ersten Produkten, die in Lenzkirch in großer Zahl hergestellt wurden, gehören die Erzeugnisse der Glashütten. Ein Netz von Glasträgern brachte die Glasware auf die Märkte in verschiedenen Ländern. Um den Handel besser zu organisieren, schlossen sich die einzelnen Glasträger-Gesellschaften zusammen und benannten sich nach den Zielorten. So gab es Elsassträger, Pfälzerträger, Schwaben- oder Schweizerträger. "In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts fusionierten die Gesellschaften zu einer großen Kompanie, berichtete Ellwanger. Somit sind Glasträger das erste europäische Vertriebsnetz.
Eindeutig belegt ist, das es ebenfalls in Unterlenzkirch von 1826 bis 1899 eine Ziegelei auf dem Schönenberg gegeben hat. Als handwerklich betriebene Kleinindustrie war die Ziegelei aber Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr konkurrenzfähig. Heute erinnert noch der Name des Baugebiets Ziegelhütte an dieses Kapitel.
Als erste Fabrikation entstand eine Strohhutfabrik. Ab 1777 sind in Lenzkirch Strohhüte geflochten worden. Auf dem Strohberg befanden sich Bleichanlagen und eine Hütte zur Lagerung des Materials. Die Anhöhe zwischen Lenzkirch und Kappel trägt noch heute den Namen Strohberg. 1827 erwarb Johann Georg Tritscheller für die Fabrikation ein Haus, das er für die Produktion von Strohwaren umbaute. Die Strohhutfabrik bestand bis in die 1880er-Jahre. Zeitweise waren in Lenzkirch 600 Heimarbeiterinnen für die Strohhutfabrikation beschäftigt.
Ernst Meyer beschloss 1896, eigene Wege zu gehen, und machte sich selbstständig. Er nutzte die Wasserkraft des Ölebächles und richtete in seiner Stube an der Saiger Steig in Mühlingen eine Werkstatt ein. Es war die Geburtsstunde für das Unternehmen Mesa Parts. Der erste Kunde war die Firma Bäuerle & Söhne aus St. Georgen, für die Uhrenräder zu bearbeiten waren.
Nach der Inflation half Sohn Otto Meyer, die Firma auf Kurs zu halten, und 1935 übernahm die zweite Generation die Firma und blieb bis 1969 an deren Spitze. In diesem Jahr übernahm Robert Meyer die Geschäftsführung. Nach einer erneuten Erweiterung war der Stammsitz an der Saiger Steig 1973 ausgereizt. Robert Meyer stellte 1983 mit einem Neubau im Lenzkircher Gewerbegebiet die Weichen zu einem mittelständischen Unternehmen. Wieder zehn Jahre später eröffnete Mesa eine Fertigungsstätte in Nachod in Tschechien. 2002 übernahm Julian Meyer die Geschäftsführung von seinem Vater Robert. Die Produktion konzentriert sich inzwischen zunehmend auf hochpräzise Bauteile für die Automobilindustrie und bietet komplexe Lösungen an.
An der Kolumban-Kayser-Straße zwischen dem Wiehrehof und der früheren Villa Siebler (später Hotel am Kurpark) stand einst die Orchestrionfabrik von Ignaz Schöpperle. Schöpperle und Eduard Hauser gründeten darin eine Werkstätte zur Herstellung von Uhrenbestandteilen, bei der erstmalig maschinelle Präzisionsarbeit zum Einsatz kam. Ende August 1851 wurde eine richtige Fabrik gegründet. Sie war die erste Uhrenfabrik im Schwarzwald.
Aus dieser Firma ist die Aktiengesellschaft der Uhrenfabrikation Lenzkirch (Agul) entstanden. Das Gründungskapital betrug 28 000 Gulden, weiß Volker Ellwanger. Die Uhrenfabrik, in der erstmals Zeitmesser von hoher Qualität und mit modernen Uhrengehäusen ummantelt in großer Stückzahl gefertigt wurden, florierte und wurde im Schwarzwald zum bedeutendsten Unternehmen dieser Branche. Bis zu 650 Beschäftigte zählte die Agul in ihren besten Jahren. Neben Uhrmachern gab es Schreiner und Drechsler, Stanzer, Vergolder, Gießer und etwa 40 Poliererinnen. Um 1900 produzierte die Agul mehrere hundert Modelle, vom einfachen Wecker und Normaluhren bis zu Regulatoren und Standuhren. 1927 schloss die Agul ihre Tore für immer.
In das brachliegende große Uhrenfabrikareal zog der aus Unterbaldingen stammende Karl Heinrich Schacherer, der unter dem Markennamen Jotti Schuhcreme herstellte.
Für die weitere Entwicklung von Lenzkirch weit bedeutender war, dass 1933 der Neustädter Friseurmeister Ludwig Kegel mit seiner Firma Kadus in die Gebäude einzog. Fortan drehte sich alles ums Handwerk der Friseure. Haarkosmetische Produkte und Geräte für Dauerwellen und Friseursalons bestimmten das Alltagsgeschäft. Das Werk beschäftigte bis zu 300 Mitarbeiter und entwickelte sich zu einem eigentlich nicht wegzudenkenden Arbeitgeber. Aber mit der Globalisierung kam alles anders: 2004 wurde das Kaduswerk von Wella auf Beschluss des amerikanischen Konzerns Procter & Gamble geschlossen. 280 Beschäftigte verloren ihren Arbeitsplatz. Die Nachfolge-Firma Kematen aus Österreich blieb nur eine kurze Episode.
Neben Mesa Parts bieten heute die in der Ortsmitte ansässigen Firmen Testo und Atmos eine Vielzahl von Arbeitsplätzen in der Gemeinde. Testo gründete sich 1957 als Zweigwerk Lenzkirch der Atmos Fritzsching &Co GmbH Viernheim, die im Medizinsektor tätig war. Der Erfolg auf den Weltmärkten ließ das Unternehmen stetig wachsen und zum Weltmarktführer bei portabler Messtechnik werden. 2019 verlegte Testo den Firmensitz von Lenzkirch nach Titisee-Neustadt.
Die Geschichte von Atmos Medizintechnik begann im Jahr 1888 in einer kleine Berliner Apotheke. Nach einem Luftangriff war der Firmensitz in Freiburg zerstört und Atmos zog 1944 nach Lenzkirch um. 1965 wurde das neue Firmengebäude in der Ludwig-Kegel-Straße bezogen. 1984 löste sich Atmos Medizintechnik von Atmos Pharma und wurde eine eigenständige Gesellschaft. Unter der Führung des neuen Geschäftsführers Peter Greiser wurde Atmos zu einen Global Player mit Tochterfirmen in vielen Ländern. Medizintechnik von Atmos gibt es in mehr als 130 Ländern der Welt und 300 Mitarbeiter der Atmos Gruppe weltweit sorgen für Ausführung der Auftragswünsche. Mit der Übernahme des Lenzkircher Küchenherstellers Ströhla 2018 entsteht Atmos Interieur und damit ist der Schritt zum Vollanbieter gelungen, der Praxen und Kliniken sowohl mit Medizintechnik als auch mit Mobiliar ausstatten kann.